Asservate Exhibits. Auschwitz Buchenwald Yad Vashem

Naomi Tereza Salmon: "Asservate Exhibits. Auschwitz Buchenwald Yad Vashem", Cantz Verlag 1995

Wahrscheinlich habe ich die Berge von Brillen und Kämmen aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern zum ersten Mal in Alain Resnais Film „Nuit et Brouillard“ von 1955 gesehen. Resnais mischte das schwarz-weiße Originalfilmmaterial, das kurz nach Befreiung der Lager entstand, mit Farbaufnahmen aus der Entstehungszeit des Films. Man sieht auch die Massengräber und ausgemergelten Leichen in diesem Film. Aber vielleicht stehen mir die Riesenberge mit den Gegenständen noch deutlicher und unauslöschlicher vor Augen.

"Dokumentarische Sachportraits" 

Naomi Tereza Salmon arbeitete ab 1989 im Auftrag der Gedenkstätte Yad Vashem an der fotografischen Erfassung solcher Relikte. Eine dokumentarische Tätigkeit, die sie in ihrem kurzen Text am Beginn des Katalogs wie folgt beschreibt: „Herstellen sollte ich nüchtern-dokumentarische Sachportraits von Gegenständen zu deren besserer Inventarisierung und Archivierung.“

 

 

Nun hätte Salmon aus diesem Material eine beeindruckende konzeptuelle Arbeit machen können, welche, in Beschränkung auf das Zeigen der Gegenstände, diese bis ins kleinste Detail perfekt ausgeleuchtet inszeniert und damit auf die emotionale Überwältigung des Betrachters gezielt hätte. Aber Salmon wählt für Ihre Arbeit, die sowohl in Installationen für Ausstellungen, als auch in diesem Katalog besteht, einen anderen Weg. Einen Weg, der Irritationen mit einbezieht, der es dem Betrachter nicht ganz so einfach macht, zu klassifizieren, was er da sieht. Denn neben den Kämmen, Rasierpinseln, Gebissen und Brillen, die oft nur noch teilweise und in Bruchstücken erhalten sind, finden sich auch viele andere „Erinnerungsstücke“ in diesem Katalog der materiellen Überreste menschlichen Lebens: Porzellan mit einem Hakenkreuz auf der Unterseite und drei Seiten später Geschirr mit dem Davidstern; Scheren und Rasierappate; ein Stern mit dem französischen Aufdruck Juif und ein Kartonrest mit einem Label, das ihn als Verpackung von Giftgas ausweist. Es gibt auch drei auf Flohmärkten gefundene fotografische Aufnahmen in diesem Katalog, welche die Ordnung der Dinge, welche zunächst so einfach zu sein scheint, endgültig aufbrechen. Egal ob man den Ordner von vorn (startend mit den Kämmen, nach den deutschen und englischen Texten) oder von hinten (startend mit den Brillen, nach dem Text in Ivrit) durchblättert.

 

"Selbstgewißheit gerät ins Trudeln"

Durch diese zusätzlichen Elemente spricht dieser Katalog nämlich nicht nur über die Opfer, sondern erspart dem Betrachter auch den Blick auf die Täter nicht. Was schon für einige der Gegenstände gilt: „Manche Dinge waren – und sind – in ihrer Zugehörigkeit unklar, Selbstgewißheit gerät ins Trudeln.“, wird angesichts der Flohmarktbilder noch virulenter. Wer ist das Mädchen, das da offensichtlich einen Ausflug auf einem Schiff unternimmt, während im Hintergrund eine Hakenkreuzflagge weht? Wer ist die junge Frau zwischen den Uniformierten vor dem Schaufenster mit dem Hakenkreuzsymbol der Deutschen Arbeitsfront? Wer ist der Mann (datiert von Mitte der 1950er Jahre), der sich offensichtlich so gut er vermag, als Hitlers Doppelgänger herausputzt? 

 

Aktenordner als Katalog

Salmon hat für diesen Katalog die Form eines Aktenordners gewählt, der mit Blättern gefüllt ist, welche die einzelnen Gegenstände zeigen. Das weist natürlich wieder auf die Erinnerungsarbeit hin, die sich im Aufbau eines Archivs ausdrückt. Aber der schwarze, zunächst ganz geschäftsmäßig wirkende Ordner schafft auch einen beklemmenden Bezug zur industriellen und bürokratischen Abwicklung des Holocausts. Und ist zugleich eine weitere Erinnerung daran, dass die Ermordung so vieler Menschen auch noch zum Geschäft gemacht wurde, nicht nur bei der Vermarktung des aus Zähnen gewonnenen Goldes.

Vorbei ist das nie

Vielleicht ist nur eines klar, nachdem man diesen Katalog zur Seite legt: Vorbei ist das nie. Und das Gezeigte hat viel mehr mit jedem einzelnen Betrachter zu tun, als dem lieb sein kann. Schon im ersten Bild, das Salmon barfuß im Anzug neben einem Paar Herrenschuhe und mit der fotografischen Abbildung eines Koffers in der Hand zeigt, noch vor den Einleitungstexten und den Abbildungen der Relikte, wird das angedeutet. Und man kann es beim Betrachten spüren, dass diese Gegenstände einen auch als heute Lebenden angehen.

 
 
 

 

 
Fakten:
 
Naomi Tereza Salmon: „Asservate Exhibits. Auschwitz Buchenwald Yad Vashem“, Ostfildern-Ruit 1995
Cantz Verlag
ISBN: 3-89322-795-4
274 Seiten, 125 S/W Abbildungen, 18 cm x 28,5 cm (Größe des Aktenordners), 15 cm x 22,5 cm (Größe der Einlageblätter)
 
Website der Künstlerin mit Links zu weiteren Informationen
 
Es gibt übrigens zwei Varianten des Ordners (mit und ohne den Aufdruck der Firma Leitz auf dem Rückenschild)
 
© Naomi Tereza Salmon