TUESDAY, JANUARY 17, 1995. 2:30 PM. 42ND STREET

Autor(en): 
Jørgen Johansson: "TUESDAY, JANUARY 17, 1995. 2:30 PM. 42ND STREET"

 

Auf den ersten Blick hielt ich die für das Buch verwendeten fotografischen Vorlagen für Polaroids. Die fast quadratischen Bildformate im Zusammenspiel mit der eigentümlichen Farbigkeit der Bilder veranlassten mich zu diesem Fehlschluss. Wie aus Jørgen Johanssons abschließendem Text (wie alle Texte in englischer und dänischer Sprache abgedruckt) hervorgeht, handelt es sich aber um Fotografien, die mit einer Rolleicord aufgenommen sind. Dabei wurde ein Diafilm im C-41 Prozess für Negative weiterverarbeitet, was für die charakteristische Farbgebung sorgte.

 

Thema des Buches ist New York. Johansson schreibt in seinem kurzen Text: „It was probably the one city in the world i knew best, without ever having been there.“ Das dürfte vielen so gehen und (wie im Falle von Johansson) vor allem an den zahlreichen (Kino)Filmen liegen, die in dieser Stadt spielen und sie in so vielen unterschiedlichen Schattierungen zeigen. Aber vielleicht ist beim ein oder anderen der Blick auf die Stadt ja auch durch die vielen Fotobücher geprägt, die ihr gewidmet sind.

 

Ein Kameramann als Standfotograf

 

Eigentlich tätig als Kameramann für Filmproduktionen (am bekanntesten in Deutschland vielleicht der Dogma-Film „Italienisch für Anfänger“) wird Johansson für dieses Buch zum Standfotografen. Er selber beschreibt New York in seinem Text als „movie set“. Und das lassen seine Fotografien für dieses Buch spüren. Da tauchen in und zwischen den Bildern jede Menge mögliche  Schauplätze von Geschichten und Freiräume für Assoziationen auf.

 

Im Untertitel nennt Johansson sein Buch „A visual narrative in 64 parts“. Wie eine Klammer für die Geschichte, die Johansson erzählt, wirken die erste und die letzte Aufnahme. Die Erzählung beginnt mit einem Blick auf die Freiheitsstatue von der Fähre vor Ellis Island. Ein Echo auf die Ankunft so vieler Einwanderer in der Geschichte dieser Stadt. Und die Erzählung endet mit dem Bild eines Gebäudes des JFK Airports, in dessen Fenstern sich Flugzeuge spiegeln. Wobei es wahrscheinlich zu weit geht, dieses Bild mit den Twin Towers des World Trade Centers in Verbindung zu bringen, die auch im  Buch auftauchen.

 

Blau und Gelb als vorherrschende Farben

 

Alle Bilder sind in den Wintermonaten entstanden. Blau und gelb sind die vorherrschenden Farben. Eher selten kommen sie gemeinsam in den Bildern vor. Aber selbst die gelb gefärbten Aufnahmen strahlen oft strenge Kälte aus. So zum Beispiel ein hinreissender Blick auf die leicht verschneite, nächtliche Dachlandschaft mit den düsteren, skulpturengleichen Wassertanks. Viele der Personen, die in den Bildern auftauchen, sieht man nur in Rückenansicht oder als Silhouetten. Oder sie sind unscharf abgebildet, so dass man sie eigentlich immer eher als Typen, denn als individuelle Persönlichkeiten wahrnimmt. Vielleicht sind sie so etwas wie die Stand-Ins in einem Film. Dem Betrachter lässt das viel Raum, ohne dass man Johanssons Fotografien deshalb als emotionslose Projektionsflächen bezeichnen könnte.

 

© Jørgen Johansson         Doppelseite 90/91

 

Ziemlich genau in der Mitte des Buches gibt es eine Aufnahme, die von allen anderen abweicht. Sie zeigt in einer annähernd farblosen High-Key-Aufnahme eine nackte (?) Frau in einem Hotelzimmer. Das Gesicht dieser Frau ist fast der Kamera zugewandt, den Blick hat sie nach unten gerichtet, ihre  Arme sind über den angewinkelten Beinen verschränkt. Vielleicht ist auch das noch ein Filmset, aber eher sieht es nach einer sehr persönlichen Begegnung aus. Wie ein spätes Echo taucht kurz vor Schluss des Buchs wieder eine Frau in einem Hotelzimmer auf. Aber jetzt sehen wir sie in Rückenansicht, die Fotografie ist wie so viele andere kräftig gelb eingefärbt. Wahrscheinlich befinden wir uns wieder in der fiktiven Welt des Kinos und der Träume. Aber manchmal mag die ja genauso real sein wie die Umgebung des eigenen Wohnzimmers.

 

Der Titel des auf dem Cover abgebildeten Fotos ist zugleich der Titel des Buches. Und die gleichen Informationen zu Wochentag, Datum, Uhrzeit und Ort erhalten wir auch für alle anderen im Buch gezeigten Aufnahmen. Das klingt verdammt präzise und lässt doch fast alles offen. So wie viele wirklich gute Filme in ihren Bildern eher die Räume zu eigenen Träumen öffnen, als eine fremde Geschichte zu erzählen. Jørgen Johansson scheint mir das mit seinem Fotobuch gelungen zu sein.

 

 


 

 

Fakten :

 

Jørgen Johansson: „TUESDAY, JANUARY 17, 1995. 2:30 PM. 42ND STREET“, Kopenhagen, 2003

B Architectural Publications

ISBN  87-989138-7-5

120 Seiten, 64 farbige Abbildungen, 27 cm x 19,5 cm

 

 

Website des Kameramanns und Fotografen:

http://www.joergenjohansson.com/

 

 


 

Comments

"lost and found"

 

Inzwischen liegt mir auch ein weiteres Buch von Jørgen Johansson vor. Und zwar "lost and found", 2009 im gleichen Verlag in Kopenhagen unter der ISBN 978-87-992042-7-4 erschienen.