They called me Yukari

Autor(en): 
Hideka Tonomura: "They called me Yukari", Tokio 2013,  Zen Foto Gallery
Es gibt Bücher, die sind mit Herzblut geschrieben oder fotografiert. Um ein solches handelt es sich bei „They called me Yukari“. Die japanische Fotografin Hideka Tonomura (geb.1979 in Kobe) schildert in diesem Buch einen Teil ihres Lebens. Unter dem Namen Yukari als Hostess im Vergnügungsviertel Tokios tätig, hat sie in diesem Umfeld fotografiert. Der erste Teil des Buches mit den farbigen, randlosen, oft tiefroten Bildern beschreibt das. Da sieht man Kunden und Hostessen beim Karaoke und an der Bar oder die vor dem Zimmer stehenden Schuhe eines Kunden. Aber auch das Auge eines Fisches, das auf den ersten Blick gerade in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes sein könnte. Starke Symbole zuhauf, die aber fast immer auch verschiedene Bedeutungsebenen zulassen und das Lesen in diesem Buch zu einem sehr individuellen Erlebnis machen. Was man beim folgenden Bild wirklich sieht, bleibt jedem / jeder selbst überlassen. Die physische Präsenz der Bilder ist beeindruckend und manchmal kippt die Stimmung vielleicht auch ins Komödiantische.
 
Schon die taktilen Elemente auf dem Umschlag, die erhabenen japanischen Schriftzeichen, die mit Blut als Farbe gezeichnet sein könnten, sind ein erster Hinweis auf das durchdachte Design des Buches, das im Übrigen von Yizhen Lin stammt.
 
 
Der zweite Teil des Buches ist in Schwarz-Weiß gehalten. Ein starker Kontrast zur Leitfarbe Rot im ersten Teil. Nach Aussagen der Fotografin handelt es sich bei diesem zweiten Part um so etwas wie einen Blick in einen Spiegel. Während der erste Teil randlos gedruckt ist, sind die Bilder hier von einem weißen Rahmen umgeben, der sie vom schwarzen Fond des Papiers abhebt. Das spricht für eine gewisse Distanz, könnte aber auch ein Auszug aus einem ungewöhnlichen Fotoalbum sein. Oder handelt es sich um eine Projektionsfläche, die in den Ecken oft dunkel zuläuft und auch sonst nicht ganz klar zu erkennen ist? Man sieht etwas, aber so ganz klar ist das durch die Vignettierungen dann wieder nicht zu erkennen. Sind die Hochhäuser Symbole? Oder nur die realistische Schilderung der städtischen Umgebung des Vergnügungsviertels? Oder beides?
 
Das Buch spricht in diesen Schwarz-Weiß-Bildern unter anderem von Einsamkeit und Aggression, aber man sollte daraus nicht vorschnell ein Psychogramm der Fotografin erstellen. Vielleicht ist der Blick in den Spiegel so intensiv, weil der Wunsch nach einem Gegenüber nicht erfüllt ist. Vielleicht ist das aber auch nur ein Versteckspiel, das keine direkte Berührung zulässt und die wahren Gefühle nur als indirekte Spiegelungen wiedergibt. Wobei das wiederum dem Betrachter die Möglichkeit gibt, sich unangenehme Gewissheiten zu ersparen.
 
In ihrem ersten Buch „Mama Love“ hatte Tonomura in formal ähnlicher Weise von ihrer Mutter und ihrer Familie erzählt. Nur, dass in diesem Fall der Farb- und der S/W-Teil in ihrer Reihenfolge vertauscht sind. Dort zeigt Tonomura im ersten, schwarz-weißen Teil ihre Mutter und deren Lover, im zweiten Teil geht es um Geld (oder vielmehr die vom Vater hinterlassenen Schulden) und die Probleme der Familie mit der Yakuza. Während in „Mama Love“ die davon ausgehende Bedrohung eher abstrakt gezeigt wird, ist die Anwesenheit von Gewalt in „They called me Yukari“ deutlicher zu spüren. Vielleicht ist ja doch alles so drastisch wie hier beschrieben: “How we make a living? Sell our hearts, piece by piece by piece.”
 
Neue Arbeiten von Hideka Tonomura sind leider derzeit nur in Japan als Online-Veröffentlichungen verfügbar. Aber mit den beiden hier erwähnten Büchern liegt bereits ein wichtiger Einblick in ihr fotografisches Werk vor. Herzlicher Dank an Hideka Tonomura für das Gespräch in Paris anlässlich Polycopies und an die Designerin des Buches Yizhen Lin für die Übersetzung desselben.
 
 

 

Fakten:
 
Hideka Tonomura: „They called me Yukari“, Tokio 2013
ZEN Foto Gallery
ISBN: 978-4-905453-29-1
Vol. 45 der Reihe ZEN Foto Books
128 Seiten, 25 Abbildungen in S/W, 38 Abbildungen in Farbe, 26 cm x 18 cm, Broschur mit Schutzumschlag
Auflage von 500 Exemplaren
 
      
 
 
Hideka Tonomura: "Mama Love", Tokio 2008
AKAAKA Art Publishing
ISBN: 978-4-903545-33-2
134 Seiten, 21 cm x 26,5 cm, Hardcover mit Bauchbinde (Kalligraphie von Nobuyoshi Araki)