Kind Frau

Autor(en): 
Angela Fensch: "Kind Frau", Bern 1989

„Ein fotografisches Essay aus der DDR“ so lautet der Untertitel des hier vorgestellten Buches von Angela Fensch (geb. 1952). Erschienen ist es im Sommer 1989 im Schweizer Benteli-Verlag, also kurz vor Öffnung der innerdeutschen Grenze. Es liegt deshalb vielleicht nahe, heute in diesen Bildern, die so kurz dem Ende der DDR entstanden sind, vor allem Hinweise auf die Auflösung dieses Staates zu suchen. Aber auch wenn die Publikation einzelne, winzige Bausteine zu einer solchen Interpretation liefern mag, geht es offensichtlich um etwas ganz anderes.

Kind Frau

Bei den Bildern im Buch, die Frauen und ihre Kinder zeigen, handelt es sich um eine sehr eigene Mischung aus Porträt- und Aktfotografie. Das gilt für viele der gezeigten Aufnahmen und nicht nur für die Fotografie auf dem Einband, die eine Varietékünstlerin in einem ziemlich freizügigen Kostüm zeigt. Einen wichtigen Hinweis auf eine der Ausgangspositionen für diese Porträts gibt schon der Titel des Buches, der bewusst die Rolle der Mutter nicht besonders betont, sondern von Frauen spricht. Diese werden in jeweils den Bildseiten gegenüberstehenden Texten mit ihrem Vornamen, dem Alter und ihrem Beruf vorgestellt. Und das einzige, das dort von den Vätern der Kinder oder den Partnern der Frauen Erwähnung findet, ist ebenfalls der Beruf. In den Bildern tauchen diese Männer nicht auf. Der enge Bezug auf die Familie ist damit in mehrfacher Weise aufgebrochen. Die Porträtierten sind  nicht vor allem definiert durch ihre Rolle innerhalb dieser sozialen Kleingruppe und trotzdem prägt die Beziehung zwischen Frau und Kind(ern) jedes einzelne der Porträts.

Bei den gezeigten Aufnahmen handelt es sich um Inszenierungen, die zumeist weit von sozialdokumentarischer Fotografie entfernt sind, obwohl sich vor allem diejenigen Bilder, die in den Wohnungen der Porträtierten aufgenommen wurden, natürlich auch einer solchen Sichtweise nicht vollkommen verschließen. Laut der kurzen einleitenden Worte von Angela Fensch beruhen die  Inszenierungen auf einer engen Zusammenarbeit zwischen ihr und den Porträtierten: „Jedes Foto habe ich eingehend mit der jeweiligen Frau und im Beisein der Kinder besprochen und so in Szene gesetzt, wie sich das vielleicht nur ergeben kann, wenn Frauen vor und auch hinter dem Objektiv stehen.“

Auf keinen Fall spiegeln die so entstandenen Fotografien einen Querschnitt der damaligen Gesellschaft der DDR. Viele Frauen aus dem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis der Fotografin sind vertreten. Die Modebranche und künstlerische Berufe spielen bei den Porträtierten im Buch Angela Fenschs eine überproportional wichtige Rolle. Das ist kein Wunder, da Angela Fensch von 1972 bis 1990 freiberuflich als Fotomodell beim Modeinstitut der DDR in Berlin arbeitete, seit Mitte der 1970er Jahren aber auch immer wieder die Rollen vor und hinter der Kamera vertauschte.

Mann Frau

Einzelnen der porträtierten Frauen begegnet man in einem zweiten Buch Angela Fenschs wieder. Diesmal werden sie unter dem Titel „Mann-Frau-Foto-Essay“ zusammen mit ihren Lebenspartnern gezeigt und inszeniert. Dabei ist richtig, was Silvia Schneider in ihrem dieses Buch einleitenden Essay schreibt, nämlich dass “bei einigen Fotos der sympathische Verdacht besteht, daß SIE mit größerer Intensität ins Bild gerückt worden ist.“ Aufgeführt werden in den kurzen Textzeilen zu den Paaren, dieses Mal Vor- und Nachname, Alter und Beruf. Kinder werden dagegen überhaupt nicht erwähnt.

 

Frauen Porträts Kinder

Ein Zeitsprung von 16 Jahren präsentiert sich dem Betrachter des Buches „Frauen Porträts Kinder“ auf jeder Doppelseite. Dort werden Bilder aus der Originalpublikation von 1989 kontrastiert mit Porträts die im Jahr 2005 entstanden. Deutlich näher an „konventionellen“ Familienporträts, obwohl auch hier die Partner und Väter nicht auftauchen, spielt bei den neueren Aufnahmen die Aktfotografie fast gar keine Rolle mehr. Ein bisschen distanzierter scheint der Blick zunächst, ist dann aber nicht weniger intensiv. Oftmals ist die ursprüngliche Bildgestaltung von 1989 in irgendeiner Form wieder aufgenommen. Die dieses Mal etwas ausführlicheren Texte sind in einen Anhang verschoben, der die Zuordnung zu den Bildtafeln durch Thumbnails erleichtert. Die Rolle der Kinder, die nun als Jugendliche und junge Erwachsene zusammen mit ihren Müttern abgebildet werden, ist jetzt eine andere, eigenständigere. Sie werden, wie ihre Mütter, im Text mit kurzen Bemerkungen zu ihrem Werdegang beschrieben.

 

Progress

„Kind Frau“ kann selbstverständlich für sich alleine gelesen werden. Und wer Spass an der Art der Bildinszenierungen hat, wird vielleicht einige Zeit darauf verwenden, sie für sich, in welcher Richtung auch immer, zu entschlüsseln. Ob man dabei nun Bildmotive aus der Malerei, ganz private Frauen- und Familiengeschichten oder doch gesellschaftliche Realitäten der DDR zu finden versucht. Erweitern lässt sich dieses Spiel natürlich, wenn man die beiden später erschienenen Bücher hinzunimmt und die ganz andere Personenkonstellation (im Falle der Abbildung mit den Partnern) und den Sprung auf der Zeitachse (im Fall der erneuten Abbildung mit den Kindern) in die Betrachtung einbezieht. Eine weiteres Buch Angela Fenschs, das mit den Veränderungen dieser beiden Faktoren (Zeit und Personenkonstellation) spielt, ist im Vogelsang Verlag unter dem Titel „ Progress - Jugendliche aus der Uckermark 1996 und 2009“ erschienen. Im Übrigen lassen sich Beispiele aus all den genannten Porträtserien auf den Internetseiten der Fotografin finden: www.angela-fensch.de

 

 


 

Fakten:

 

Angela Fensch: „Kind Frau“, Bern, 1989
Benteli Verlag
ISBN: 3-7165-0685-0
108 Seiten, 51 ganzseitige S/W-Abbildungen, 30 cm x 20,5 cm

Angela Fensch: „Mann-Frau-Foto-Essay“, Berlin 1991
edition q
ISBN: 3-928024-25-6
116 Seiten, 53 ganzseitige S/W Abbildungen, 27,5 cm x 21 cm

Angela Fensch: „Frauen Porträts Kinder. 1989 und 2005“, Berlin 2005
Nicolaische Verlagsbuchhandlung
ISBN: 3-89479-251-5
104 Seiten, 76 ganzseitige S/W Abbildungen (+ Thumbnails bei den Texten zu den Bildern), 28,5 cm x 22,5 cm

Angela Fensch: "Progress - Jugendliche aus der Uckermark 1996 und 2009", Berlin 2009
Vogelsang Verlag
ISBN: 978-3-939196-03-7
Website des Verlags: http://www.vogelsangverlag.de