On borrowed time

Autor(en): 
Henrik Malmström: "On borrowed time", Espoo 2010

 

Ich hatte ein paar der Bilder vorab im Internet gesehen. Aber erst als ich das Buch im Februar beim Book Salon während des Düsseldorf Photo Weekends am Stand von Einer Books entdeckt habe, hat es mich wirklich in seinen Bann gezogen. Eine Freundin, der ich "On borrowed time" gezeigt habe, klappte es nach ungefähr einem Drittel der Bilder wieder zu. Sie fühlte sich nicht dazu in der Lage weiter zu blättern. Nicht weil die Bilder, die Henrik Malmström (geb. 1983) vom Sterben seiner Schwester zeigt, so brutal oder in irgendeiner Weise sensationsheischend wären. Aber sie transportieren und wecken starke Emotionen. Das soll jetzt aber keine Warnung vor dem Buch sein, sondern eine ausdrückliche Empfehlung. Es kommt nicht häufig vor, dass ich ein Buch so oft zur Hand nehme, so vielen Leuten zeige, wie dieses. Die Unerbittlichkeit, die in diesem Buch spürbar wird, liegt im Fortschreiten der Krebserkrankung von Maija, der älteren Schwester von Henrik Malmström, nicht in den einzelnen Bildern, die mit ganz einfachen Mitteln so ausdrucksstark diesen Prozess schildern    

Seelenlandschaften     

Die Serie der Bilder, die Maija und ihre Familie zuhause und im Krankenhaus zeigen, wird immer wieder unterbrochen von Außenaufnahmen, die Henrik Malmström zum Beispiel auf dem Weg zum Krankenhaus fotografiert hat. Vielleicht könnte man bei letzteren von Seelenlandschaften sprechen. Beides, die Bilder der von der Krankheit betroffenen Menschen und die Bilder von Nebellandschaften, Vögeln und Bänken, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, gehen in diesem Buch eine enge Verbindung ein. Die Abfolge der Aufnahmen ergibt ein dichtes Netz der Narration. Man kann die Aussage Malmströms „Photography is a way of dealing with reality and feelings“ auch auf die beiden Stränge des Erzählens beziehen, die in diesem Buch so wunderbar ineinander laufen.

 

Doppelseite 16 / 17    © HENRIK MALMSTRÖM

 

Auch wenn sich die Abfolge der Bilder anders darstellt als im Buch, ergibt ein Blick auf die folgende Internetseite einen recht guten Einblick in die Arbeit: www.visuramagazine.com/spotlight-henrik-malmstrom  Die Geschlossenheit und Konzentration der Erzählung im Buch wird hier allerdings nicht erreicht. Die durchkomponierte Abfolge von klugen Gegenüberstellungen von Bildern und randlosen Doppelseiten findet bei der Darstellung auf dem Monitor keine Entsprechung.

Unausweichlichkeit des Todes

Das Buch beginnt mit einem Text von Jörn Donner über den Tod. Insofern ist der Ablauf der Geschehnisse von Anfang vorgezeichnet. Der Leser und Betrachter kann auf kein Happy End hoffen. Und es gibt Bilder, wie die leere Bank, die einem die Hoffnung, auch ohne diesen Text und die kurze Einleitung Malmströms gelesen zu haben, wahrscheinlich schnell austreiben würden. Aber trotzdem ist dieses Buch keines, das nur Verzweiflung und Trauer visualisiert. Der Fotograf ist offensichtlich nicht daran interessiert, möglichst schockierende Bilder des körperlichen Leidens zu finden. Die Bilder von Maija in der Dusche oder ihr Lächeln, genau in der Mitte des Buches, sprechen von der engen Beziehung der Geschwister und angesichts des Themas nicht unbedingt erwarteter Schönheit. Einer Schönheit, die es aber noch verstörender macht, dass die Geschichte des Buches so unausweichlich auf den Tod hinausläuft.

 

Doppelseite 26 / 27   © HENRIK MALMSTRÖM

 

Malmströms Buch ist im Eigenverlag in einer Auflage von 500 Exemplaren erschienen. Der Buchtitel bezieht sich auf einen im Anschluss an die Bilder ebenfalls abgedruckten kurzen Text von Maija, in dem sie ihre Gefühle in Anbetracht der erbarmungslos ablaufenden eigenen Lebenszeit schildert: „We live on borrowed time. ...  This is my life. Why is it possibly going to be taken away from me before I'm done with it. Because I'm not done with it.“ Auf der gegenüberliegenden Seite sehen wir sie auf einem unscharfen Bild, barfuss auf Fliesen, neben den fünf Rollen eines Infusionsständers ins Licht laufen. Der Tod hat nicht das letzte Wort, aber das macht ihn nicht weniger schmerzhaft und endgültig.

 


 

Fakten:

 

Henrik Malmström: „On borrowed time“, Espoo, 2010,

Eigenverlag Henrik Malmström

ISBN: 978-952-92-6948-8

80 Seiten, 40 S/W-Abbildungen, 22,5 cm x 20 cm

Design und Layout von Petri Kuokka, Katri Lassila und Henrik Malmström

alle Texte in englischer, finnischer und schwedischer Sprache

Auflage von 500 Exemplaren

 

Vorstellung des Buches auf der Website des Fotografen:

www.henrikmalmstrom.com/?page_id=21