Rimaldas Vikšraitis : Am Rand der bekannten Welt

Rimaldas Viksraitis Am Rand der bekannten Welt, Katalog
Die Problematik der vergessenen Gesellschaft und wie Humor das Leben
erträglich macht
 
 
Das Leben zu meistern und Grenzen zu überschreiten. Das ist ein Ziel, ein tragfähiges Motto in vielerlei Hinsicht. Der Fotograf Rimaldas Vikšraitis wollte es nicht unversucht lassen, wollte trotz schwieriger Lebensverhältnisse in einem Land, in dem das Leben wie vor unserer Zeit verlief und teils stets weitergeführt wird, seinen Weg machen und etwas ganz Besonderes zeigen. Hierzu entführt er uns nach Litauen, in ein Land im Nordosten Mitteleuropas. Es grenzt an die Ostsee, den Oblast Kaliningrad (ehemals Königsberg, heute Russland), Polen, Weißrussland und Lettland. Flächenmäßig ungefähr so groß wie Bayern, jedoch mit einem Fünftel seiner Einwohner bevölkert ist es ein geschichtsträchtiges Land, dessen Bevölkerung sich einige Male unermüdlich seine Unabhängigkeit erkämpfen musste.  Der Künstler erzählt die Geschichte der vergessenen litauischen Dörfer, die sich in der Zeit des Kommunismus, der Übergangszeit und der staatlichen Unabhängigkeit abspielt. Es ist auch seine persönliche Geschichte, eine vom Leben in ländlichen Gebieten des Landes, in dem sich die Menschen mit dem damaligen und gegenwärtigen Leben, von Umbrüchen und Veränderungen gezeichnet, arrangiert haben.
 
Mit 17 Jahren beginnt er zu fotografieren. “Ich hatte damals großen Ehrgeiz, weil ich mir selber beweisen wollte, dass ich kein hoffnungsloser Fall bin.” Seine Anerkennung unter Kollegen muss er sich hart erkämpfen. Rückschläge lassen ihn zweifeln, jedoch nicht aufgeben. Im Jahr 2009 gewinnt er beim Rencontres d´Arles den Prix Découverte, für den er von Martin Parr vorgeschlagen wurde.
 
Die Ausstellung zeigt Schwarz-Weiss-Fotografien, die  zwischen den 1970er-Jahren und 2014 entstanden sind und ist in Themengebiete unterteilt. So gibt zum Beispiel die Thematik “Dorfleben” einen Überblick über das dörfliche Leben. Sie zeigt, wo und wie die Menschen ihr Leben im ländlichen Litauen verbringen und welche Konstellationen sich zwischen Ort, Mensch und Tier ergeben. In “Konstellationen” wiederum wird das Zusammensein von Menschen verdeutlicht, wobei das Treffen zweier oder mehrerer Individuen im Fokus steht. Liebevoll bezeichnet der Fotograf die Kinder als Eidechsen, “die neugierig und lebhaft durch das Dorf toben.” Die Gesichter der Abgelichteten erhalten besondere Aufmerksamkeit in der “Charaktere”-Thematik. Würdevoll präsentiert er die Authentizität eines jeden Charakters. In seinen Selbstdarstellungen inszeniert er sich in für ihn unerreichbaren Rollen, stets humorvoll spielt er mit seinen unvermeidlichen körperlichen Schwächen, zieht Grimassen  in “Lebenskünstler - Künstlerleben”. Einen wahrlich archaischen Vorgang wiederum stellen seine Bilder von “Hausschlachtungen“ dar. Sie zählen zu seinen bekanntesten Werken. 
 
 
Grimaces of the Weary Village (2000_2)
 © Rimaldas Vikšraitis 
 
Sein Ziel war es keinesfalls Bilder zu machen, die den Menschen gefallen. “Mir waren soziale Motive sehr wichtig, darum beobachtete ich von Anfang an dieses Thema und erforschte das soziale Leben um mich herum. Davon will ich dem Betrachter erzählen.” Er entscheidet sich für die Schwarz-Weiss-Fotografie. Denn auf die Weise kann er sich selbst besser ausdrücken. Außerdem sei die Ausdruckssprache viel klarer, erklärt er im Künstlergespräch. So stürzt er sich mit seiner Kamera mitten ins Geschehen und kreiert Bilder von Momenten aus seinem eigenen Leben, sowie der seiner Verwandten, Freunden und Nachbarn. Neben Auftragsarbeiten unter der Woche erkundet er an den Wochenenden weiter entfernte Dörfer, geht privat seiner Leidenschaft für die Fotografie nach, mittels seines Fahrrads, das für ihn dabei auch ein Freiheitssymbol darstellt. Durch Krankheit und in der körperlichen Beweglichkeit und Belastbarkeit eingeschränkt, weitet er seinen Radius immer weiter aus, bis zur Grenze der persönlichen Belastbarkeit. Bei seinen Erkundungen trifft er sehr oft auf feierliche Stimmung unter den Dorfbewohnern, denn an den Wochenenden wird gewöhnlich gefeiert.
 
“Das Wichtigste im Prozeß des Fotografierens  ist die Idee” erklärt er dem Publikum im Künstlergespräch. Er improvisiert und auch wenn sich  manchmal das Ergebnis seines Vorhabens ziemlich von der Idee unterscheiden mag, so behilft er sich seiner spontanen Improvisation, einer Kreation einer Szene, “wie in einem Film, um der Idee näher zu kommen.” Er agiert als unsichtbarer Agent, der die Akteure beim Spiel in gewissen Situationen , das er manchmal selbst arrangiert, in seinen Bildern verewigt. Dabei, so versichert er, gibt er keine Anweisungen. Posing mag er generell nicht. All seine in Bildern festgehaltenen Momente kamen aus der Situation heraus.
 
Seine Bilder sind schnörkellos, ungefiltert, nicht selten schamlos und zeigen ein tristes Leben. Ein Leben geprägt von Armut, Härte, Schmerz, Perspektivlosigkeit, Alkoholismus und wohl dessen Ausschweifungen. Jedoch offenbaren sie dem Betrachter zugleich noch viel mehr. Nämlich wertvolle Aspekte des Menschlichseins, wie Gelassenheit, Sehnsucht, Vertrautheit, tiefe Freundschaft und Verbundenheit zwischen den Menschen. Es sind diese Aspekte, die den Betrachter in ihr Bildgeschehen ziehen und dessen Aufmerksamkeit schonungslos packen, sie an sich reißen und zum visuellen Verbleib drängen im abgelichteten Moment der Fotografie. Und dies mit einer Wucht, wie man überraschend an sich selbst feststellen kann. “Rimaldas Motive aus dem urbanen Kontext sind so tief und dicht an der Materie, so dass seine Bilder starke Emotionen hervorrufen. Das Bild löst die Affekte des Betrachters direkt aus. Entweder löst es Abstoßung oder aber Bewunderung aus. Und da gibt es nichts dazwischen. Es sind menschliche Grundemotionen.” erläutert der Kurator Thomas Schirmböck im Künstlergespräch. Und dennoch sind Vikšraitis Fotografien auf eine ganz besondere Weise humanistisch. Ihm liegt sehr viel an den Menschen, die er fotografiert. Er selbst war tief in dieses Leben verwurzelt, fotografierte nahe Verwandte, Bekannte, Freunde und Nachbarn und nicht selten erfuhr er von Geheimnissen, von denen die Betroffenen niemals hätten ein Ahnung haben können.  
 
 
Grimaces of the Weary Village (1999)
 © Rimaldas Vikšraitis
 
Auf die Frage, ob er diese Art von Fotografie weiterhin kreieren kann, antwortet der Künstler etwas reuemutig. “Die Lebensverhältnisse der mir begegneten dörflichen Bewohner haben sich größtenteils nicht geändert. Die grundsätzliche Problematik aus den Vorjahren besteht weiterhin. Jedoch stelle ich fest, dass sich die Relationen unter den Menschen ändern. Man ist sich fremder geworden, ist mißtrauischer und vertraut einander nicht mehr wie früher.” Computer und das Fernsehen beanspruchen immer mehr an Freizeit, die früher der zwischenmenschlichen Interaktion gewidmet wurde. “Die Beziehungen der Menschen sind einfach gestrickt und stehen auf keinem festen Fundament mehr. Man kommuniziert weniger miteinander. Darunter leidet die Qualität der Beziehung. Als Fotograf ist es nicht mehr so einfach, in bestimmte Situationen zu geraten um sie dann in Bildern festzuhalten.” Es scheint gewiss, dass seine Fotografien von der Vergänglichkeit erfasst worden wären, was das Attribut der Besonderheit in Bezug auf seine Kunst noch verdeutlicht wie auch steigert.
 
Was beim Betrachten seiner Werke, sei es in der Mannheimer Fotografie-Ausstellung -  noch bis zum 29.04.18 -  oder aber in dem zur Ausstellung erschienenen Fotobuch, ins Visier rückt, ist das vertraute Miteinander von Jung und Alt, Mensch und Tier und deren Verbundenheit und Zusammengehörigkeit, wie es das Leben und der Tod selbst auch sind. Rimaldas Vikšraitis Kunst verdeutlicht, was auch wirklich zählt, ob in der uns bekannten Welt oder der an ihrem Rande. Es sind diese kostbaren Eigenschaften des Menschlichseins. Mittels seiner Gabe sind sie aus den Gesichtern und der Körpersprache in den Fotografien abzulesen, mitten im Grau des Alltäglichen.
 
 
Text von Izabela Koth   

 

Fakten:

 
Ausstellung Rimaldas Vikšraitis: Am Rand der bekannten Welt in Mannheim im Zephyr. Raum für Fotografie vom 04.02. bis zum 29.04. 2018
 
 
 
Publikation anlässlich der Ausstellung:
 
 
Rimaldas Vikšraitis: Am Rande der bekannten Welt
Hrsg. von Gintaras Česonis und Thomas Schirmböck
Kaunas Photography Gallery 2018
180 Seiten, 23 cm x 20 cm, Broschur
Texte in Litauisch, Englisch und Deutsch
während der Ausstellung 35,90 €,
sonst 39,90 €
 
 
Das Künstlergespräch fand statt am 04.02.18 mit
Rimaldas Vikšraitis und Gintaras Česonis, 
Kaunas Photography Gallery (Übersetzer),
Kurator der Ausstellung Thomas Schirmböck
 

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