Birgit Püve: "By the Lake - Estonian Documents"

Birgit Püve, Fellbach 2014
Die estnische Fotografin Birgit Püve (geb. 1978) versammelte in ihrem ersten Buch Aufnahmen von eineiigen Zwillingen. Unter dem Titel „Elada mitmuses“ ist diese Publikation letztes Jahr beim Verlag Hea Lugu in Tallin erschienen. Und das Thema deutet bereits auf Püves bevorzugtes fotografisches Sujet hin, denn sie befasst sich insbesondere mit Portraits. Bereits zweimal bekam sie für ihre Arbeiten auf diesem Gebiet den Preis für estnische Pressefotografie.

Estonian Documents

Auch bei der Mehrzahl der Exponate in der zur Zeit laufenden Ausstellung in der Städtischen Galerie Fellbach handelt es sich um Portraits. Im oberen Raum der Galerie hängen die Arbeiten der Werkgruppe „Estonian Documents“. Dabei werden die Portraitierten, die Püve entweder bereits kannte oder auf der Straße ansprach, vor grauem Hintergrund gezeigt. Bei aller Systematik im Aufbau der Bilder und der Beschränkung auf die Darstellung der Einzelpersonen, ohne dass ihr Umfeld gezeigt würde, variiert die Fotografin die Aufnahmen durchaus. Manchmal erfolgt der Blick der Abgebildeten direkt in die Kamera, manchmal geht er in die Ferne. Auch die Ausschnitte sind nicht genau festgelegt, wobei „Brustbilder“ dominieren.
 
"Maie" aus der Serie "Estonian Documents",  © Birgit Püve
 
Selten habe ich so lange in einer Ausstellung verbracht und mich den einzelnen Bildern so im Detail gewidmet. Die Schärfentiefe der Fotografien ist teilweise extrem gering, so dass zum Beispiel oft nur ein Auge der Portaitierten wirklich scharf abgebildet wird. Aus der Ferne betrachtet fällt das nicht auf, die Fotografien scheinen über das gesamte Bildfeld scharf zu sein. Aber es ergibt sich für die Fotografin ein weiter Spielraum, um den Blick des näherrückenden Betrachters auf ganz unterschiedliche Dinge zu lenken. Neben dem Ohrring ist da vielleicht ein Detail der Bluse wieder exakt im Fokus, oder die Haarsträhne über dem Ohr. Und wenn man ganz nah an die Bilder herangeht, kann man in einigen davon die Fotografin selber entdecken. Als Spiegelung in den Augen der Porträtierten ist dann ihre dunkle Shilouette zu sehen. Aber präsent ist sie, wie in vielleicht den meisten guten Portraitfotografien, auch in allen anderen Aufnahmen.

By the Lake

Im unteren Geschoß der Galerie in Fellbach hängen die Dyptichen der Serie „By the Lake“. Vom im Titel angesprochenen See sieht man in all den Fotografien nichts. Entstanden sind die Bilder aber am Ufer des Peipussees, durch den inzwischen die Grenze zwischen Estland und Russland verläuft. Birgit Püve zeigt allerdings keine Naturidyllen, sondern auch in diesem Fall Portraits. Und zwar von Anwohnern des Sees, die zu einer kleiner werdenden Gruppe von „altgläubigen“ Russen gehören, die schon lange dort siedeln. Und im Gegensatz zur Portraitserie „Estonian Documents“ spielt bei diesen Aufnahmen die häusliche Umgebung der Portaitierten eine entscheidende Rolle. Die Fotografin geht so weit, neben das Portrait der Person ein Detail der Wohnungsumgebung zu setzen, insbesondere einen Ausschnitt der Wand. Dieses zweite Bild nimmt Muster und Farben von Tapeten oder Wandteppichen wieder auf, variiert sie oder zeigt Fotos, die an der Wand hängen, detaillierter.
 
"Alexander" aus der Serie "By the Lake", © Birgit Püve

Landschaften

In einem getrennten Raum finden sich dann neben all den Portraits noch einige Landschaftsaufnahmen, auf denen Personen (bis auf eine Ausnahme) fehlen. Von Menschen unberührt ist aber auch hier eigentlich nichts. Ein Autowrack im Gehölz oder ein Badekarren am Strand machen deutlich: die Abwesenheit von Menschen ist nur eine momentane, die Landschaft zeigt ihre Spuren.
 
 
 

 

 
Fakten:
 
Ausstellung „By the Lake – Estonian Documents“ von Birgit Püve in der Galerie der Stadt Fellbach vom 07.08. bis zum 28.09.2014
 
 
 
Buch:
 
Birgit Püve: „Elada mitmuses“, Tallinn 2013
Hea Lugu
ISBN: 978-9949-538-05-8
128 Seiten, 40 farbige und 6 s/w Abbildungen, 26,5 cm x 21,5 cm, fotoillustriertes Hardcover