Hab Acht

Autor(en): 
Andreas Frei: "Hab Acht", München 2016, Million Books
Seit einiger Zeit habe ich mir angewöhnt, bei Fotobüchern, die ich zum ersten Mal in die Hand bekomme, zunächst keine Texte zu lesen. Egal ob es sich um Klappentexte, Einleitungen, begleitende Essays oder Nachwörter handelt. Das hat damit zu tun, dass ich hinterher oftmals den Eindruck habe, sonst nur die Dinge zu sehen, auf die in den Texten verwiesen wird. Lieber bin ich für einen ersten Durchgang durchs Buch auf meine eigenen Assoziationen beim Betrachten der Bilder angewiesen. So ganz lässt sich diese Vorgehensweise natürlich nicht durchhalten, da ich zu vielen Büchern zuvor Beschreibungen aus dem Internet oder sonstigen Quellen erhalte und lese. Für Andreas Freis neues Buch „Hab Acht“ hat das aber funktioniert, obwohl ich bei Facebook schon das ein oder andere Bild aus der Arbeit gesehen hatte. Dass er mit einer ganz anderen Version seiner Publikation unter dem gleichen Titel im Jahr 2010 schon mal beim Dummy-Wettbewerb in Kassel dabei war, war mir nicht mehr bewußt.
 
 
So richtig einen Reim auf dieses Buch konnte ich mir beim ersten Durchschauen nicht machen. Aber ich war sofort von der Atmosphäre der durchaus disparaten Elemente des Buches gefesselt. Handelt es sich beim ersten Bild um ein Projektil oder doch um einen Himmelskörper? Was ist der gemeinsame Nenner der schwarz-weißen Portraits? Wie passen dazu die farbigen Bilder von astronomischen Erscheinungen oder handelt es sich bei diesem Objekten auf schwarzem Fond doch um etwas ganz anderes? Ein Kind in einem Bett und daneben ein nächtliches Bild mit Bäumen. Schatten von Geäst auf nächtlichen Hauswänden. Ergibt das nun eher eine Atmosphäre der Bedrohung oder das Gefühl einer ziemlich friedlichen Stille? Geht es um den Rückzug ins Private angesichts einer Gefahr aus der umgebenden Natur, so sehr diese im Umfeld einer deutschen Wohnsiedlung domestiziert sein mag? Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf: von der unterschiedlichen Bedeutung des Waldes in Märchen bis zur Faszination ferner Galaxien, sichtbar gemacht durch Weltraumteleskope.
 
 
Das Buch zog mich jedenfalls in seinen Bann und innerhalb der wenigen Minuten der Betrachtung verwarf ich so einige Hypothesen, ohne mich auf eine eindeutige Lesart festlegen zu können. Aber es ist nicht unbedingt ein Nachteil, wenn eine fotografische Arbeit oder ein Fotobuch eine gewisse Offenheit behalten. Für mich ist der Kontakt mit geheimnisvoll bleibenden Bildern oft intensiver, als wenn von Anfang an eine Folie mit eindeutigen Erklärungen mitgeliefert wird.
 
Andreas Frei hat für sein Buch auf einen langatmig erklärenden Essay oder einen Text mit einer kunsthistorischen Verortung seiner Arbeit verzichtet. Aber auf der letzten Seite des Buches steht eine kurze Erklärung, die in drei Sätzen (auf Deutsch und Englisch) einiges zur Entstehung der Bilder aussagt. Wer das Buch lieber ohne dieses Vorwissen anschauen möchte, sollte jetzt nicht weiterlesen!
 
 
Ausnahmsweise sei hier mal der komplette Text aus einem Fotobuch zitiert. Viel knapper, als es Andreas Frei beschreibt, lässt sich das halt nicht zusammenfassen:
 
„Portraits meiner Familie und Freunde, die unter Angst vor Dunkelheit leiden.
Bilder aus unserer Nachbarschaft.
Spektralanalysen des Klanges von Sirenen, die ich in der Nacht vom 13. November 2015 in Paris hörte.“
 
 
 
Zu meiner großen Überraschung handelt es sich also um eine der inzwischen zahlreichen Publikationen zu den terroristischen Anschlägen in Paris im November letzten Jahres. Erwähnt seien hier nur Jim Reeds „The Lion is Dead Tonight“, Bettina Lockemanns „État d'urgence“ oder Paul Grahams „Paris 11-15th November, 2015“. Aber sehr eng ist der Fokus bei all diesen Werken nicht. 
 
 
Meine Empfehlung: Schauen Sie sich dieses Buch mit oder ohne (schwierig, wenn Sie den Text bis hierher gelesen haben) Vorwissen an und ziehen Sie selber Schlüsse daraus. Trauen Sie ihren eigenen Gefühlen beim Betrachten der Seiten. Das Fotobuch in ihrer Hand gehört für diese Momente ganz Ihnen. Schauen Sie, was Sie ganz spontan daraus machen und was das Buch mit Ihnen macht!
 
 

 

 
Fakten:
 
Andreas Frei: „Hab Acht“, München 2016
Million Books
60 Seiten, 43 Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß, Klammerheftung, Cover mit montiertem Original-Barytpapier-Print
Auflage von 100 nummerierten Exemplaren
 
 
 
Dummy der Vorversion aus dem Jahr 2010
 
 

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