Miroslav Tichý : Die Stadt der Frauen

Miroslav Tichý: "Die Stadt der Frauen", Heidelberg 2013

 

Auch wer bereits Kataloge und Publikationen zum Werk Miroslav Tichýs besitzt, sollte sich  überlegen, den zur Ausstellung in Mannheim erschienenen Katalog zu erwerben. Denn Ausstellung und Publikation versuchen einen neuen Blick auf den Künstler und sein Werk zu werfen, dessen bisherige Rezeption in den Augen von Kurator Thomas Schirmböck zu sehr von Vermarktungsinteressen Roman Buxbaums geleitet war. Deshalb verzichtet die Ausstellung auch auf Bildmaterial aus der Quelle der von Buxbaum gegründeten Stiftung „Tichý oceán“.

Inwieweit sich in der Ausstellung und durch die Texte im Buch wirklich ein neuer Kosmos öffnet, kann jeder Besucher und Leser für sich selber entscheiden. Vielleicht werden derzeit ja auch nur einige frühere durch neue Legenden ersetzt. Ob man sich der Biografie Tichýs wirklich noch authentisch nähern kann, erscheint mir fragwürdig. Aber eventuell ist das ja auch nebensächlich. Biografische Informationen verleiten vielleicht nur zu vorschnellen Kurzschlüssen, was die Interpretation der Bilder Tichýs angeht. Das soll die Arbeit, die für diese Ausstellung und den Katalog in Hinsicht auf die Klärung von Fragen in Bezug auf Tichýs Biografie geleistet wurde, nicht schmälern. Aber eine Annäherung an die Bilder, ganz ohne Vorwissen über das Leben Tichýs, dürfte eine durchaus angemessene Weise der Betrachtung sein. An wem also all die Kontroversen der letzten Jahre vorbeigegangen sind, der sollte vielleicht einfach nach Mannheim fahren und sich das ziemlich einzigartige fotografische Œuvre ohne vorherige Hintergrundrecherchen anschauen.

 

Intimer Zugang

 

Die Ausstellung bietet einen intimen Zugang zu den kleinformatigen Bildwerken, die durch eine gezielte Beleuchtung sehr plastisch vor Augen geführt werden. Damit die aus der Dunkelheit des Raums herausstrahlenden Bilder nicht allzu eintönig daherkommen, wurde viel Sorgfalt in die Reihung der Motive und die Bildung von Blöcken gesteckt. Und zugleich weicht einer der Räume in der Beleuchtung vom strengen Konzept des Heraussmeisselns der rechteckigen Rahmen aus der Dunkelheit ab, was die Gesamtinstallation etwas auflockert.

 

Einblick in die Ausstellungsräume

 

In einem kleinen, konventionell beleuchteten Seitenkabinett lässt sich neben ein paar Fotografien, die Miroslav Tichý zeigen, auch etwas über seine Arbeitsweise erfahren. Hier werden mehrere Kontaktstreifen gezeigt, die einen kleinen Einblick in die Art seines Umherstreifens durch den Ort Kyjov geben, in dem alle seine Bilder entstanden sind.

 

Miroslav Tichý
Libuše Jakubcová, 1979
© Libuše Jakubcová

 

Katalog des Kehrer Verlags

 

Die Wiedergabe der Bilder im Katalog legt Wert auf die objekthafte Darstellung der Werke Tichýs. Deshalb sind viele davon mit Schattenwürfen versehen, um sie plastisch vom Untergrund abzuheben. Knicke und Beschädigungen der Oberflächen werden detailgetreu nachgezeichnet.

Die Texte im Katalog versuchen gleich zu Beginn durch die Wiedergabe von Interviewäußerungen von Freunden und Bekannten Tichýs unter dem Titel „Zeitzeugen erzählen“ einen neuen Zugang zur Biografie des Künstlers zu ermöglichen. Ein Zugang, der nicht dominiert wird von den Aussagen Roman Buxbaums über das Leben des Künstlers, die sich im Nachhinein (zumindest zum Teil) als falsch herausstellten. Wer sich über die immer noch laufenden Kontroversen informieren will, findet im Internet zahlreiche Dokumente und Diskussionen, auf die im Katalog ebenfalls verwiesen wird. Insbesondere das von Marc Lenot geschriebene Kapitel bietet hier zahlreiche Informationen. Wer sich also über die Bilder hinaus auf die Suche nach authentischen Spuren Tichýs machen möchte, findet im Katalog eine gute Grundlage. Diese wird neben den bio- und bibliografischen Informationen gewährleistet durch weitere Texte: So beschreibt Thomas Schirmböck die Methoden der Vermarktung der Fotografien, Milan Chlumsky stellt Miroslav Tichý als Zeichner und Maler vor und Thomas Röske steckt das Feld zwischen Outsider Art und Konzeptkunst ab, in dem sich bei aller Einzigartikeit irgendwo auch Tichý verorten lässt.

 

Handbuch für Ausstellungsbesucher

 

Das 28seitige Handbuch, das jeder Ausstellungsbesucher erhält, gibt mit einigen Abbildungen und  Texten von Thomas Schirmböck und Isabel Koch einen kurzen Einblick in den Stand der Diskussion um Leben und Werk Tichýs, stellt aber vor allem auch die Konzeption der Ausstellung vor und gibt einige Gedanken zu ausgewählten Ausstellungsstücken wieder. Das ist für den wirklich Interessierten bestimmt kein Ersatz für den Katalog, aber doch ein beachtenswerter Service der Ausstellungsmacher, der in anderen Häusern gerne Nachahmer finden könnte.

 

 


 

 

Fakten:

 

Ausstellung im Zephyr – Raum für Fotografie in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim vom 24.02.2013 bis zum 26.05.2013

 

Video-Podcast eines Gesprächs mit dem Kurator Thomas Schirmböck: http://www.youtube.com/watch?v=jEu2y-zis1Q

 

 

Katalog:

 

Miroslav Tichý: „Die Stadt der Frauen“, Heidelberg, 2013

Kehrer Verlag

ISBN: 978-3-86828-360-0

248 Seiten, 135 Abbildungen im Tafelteil (+ weitere Textabbildungen), 23,5 cm x 17 cm