Weinhaus. Fotografien 1977-1984

Autor(en): 
Leo Kandl: "Weinhaus. Fotografien 1977-1984", Edition Stemmle 1999

Es gibt einige legendäre Fotobücher, die das Leben in einer Kneipe schildern. Erwähnt seien „Drum“ von Krass Clement und „Cafe Lehmitz“ von Anders Petersen. Durch den sehr empfehlenswerten Fotobuchblog von Andreas Bitesnich wurde ich jetzt an ein anderes Buch erinnert, das sich diesem Sujet widmet und welches sich hinter diesen berühmten Beispielen überhaupt nicht zu verstecken braucht. Einen ganz eigenen Charakter haben alle drei Bücher, aber das ist nicht verwunderlich, da die Fotografen mit ihrer jeweiligen Handschrift in ihren Bildern sehr präsent sind.

"Wiener Runden"

Leo Kandl (geb. 1944) fotografierte für sein Langzeitprojekt, das in den Jahren 1977-1984 entstand, in verschiedenen Kneipen. Nicht nur in Wien, wie der Titel des Textes von Monika Faber „Wiener Runden“ nahelegt. Dieser Essay ist im Anschluß an den Bildteil abgedruckt und seine Überschrift dient der Buchhandelsausgabe als Titel auf dem Schutzumschlag. Der eigentliche Buchtitel lautet aber „Weinhaus“. Und auf der in dieser Hinsicht besonders schön gestalteten, broschierten Museumsausgabe ist der Name des Buches durch die Beschriftung des Gebäudes auf der abgebildeten Fotografie präsent. Das erspart die sonst übliche, zusätzliche Typographie auf der Einbandvorderseite.

Die Fotografien sind nicht in urig-gemütlichen oder vielleicht auch eher touristischen "Beisln" entstanden, wie sie mancher beim Stichwort Wien erwarten mag. Resopaltische, spärliche Grünpflanzen oder eine etwas heruntergekommene, von verschlissenen Gardinen gerahmte Holzverschalung, das prägt diese Gasträume. In einem hat sich das Schloss Neuschwanstein als Fototapete an die Wand verirrt. Die Böden sind abgetreten und eher schäbig, genau wie die Tresen. Aber die Bilder sind dann doch weniger vom Ambiente als viel mehr von den Menschen geprägt, die sie bevölkern und die fast immer im Mittelpunkt der Fotografien stehen oder sitzen. Leo Kandl hat sie alle durch Gebrauch eines Blitzlichts hervorgehoben, was einen Teil der Präsenz der Porträtierten erklärt. Die Aufnahmen entstanden im Übrigen zunächst mit einer Nikon Kleinbildkamera und später auch mit einer Rolleiflex-Mittelformatkamera. Man kann die unterschiedlichen Aufnahmeformate vielen der Abbildungen noch ansehen, auch wenn sie teilweise für den Abdruck beschnitten wurden.

 

 

Peter Weiermair, der auch als Herausgeber fungiert, geht in seinem einleitenden Text insbesondere auf die Abfolge der Fotografien im Buch ein, die er in Zusammenarbeit mit dem Fotografen entwickelte. Und die Montage der Bilder ist neben den vielen starken Einzelfotografien ein weiterer, entscheidender Baustein für dieses manchmal verstörende, immer aber bewegende Buch, das eine ziemlich perfekte Balance einhält: Es klammert die Schattenseiten dieser Orte nicht aus, belässt den Porträtierten aber ihre Würde und stellt sie auch nicht bloß.

Männlicher Kosmos

Es tauchen einige Frauen in diesen Bildern auf, aber es handelt sich doch eher um einen männlichen Kosmos, der hier beschrieben wird. Oft zeigen die Männer auf den Bildern bewußt etwas vor: Seien es ihre Tätowierungen oder kleine Kunststücke, wie das Balancieren des Bierkrugs auf dem Kopf oder das Vorführen einer Tanzeinlage. In vielen Bildern ist die Interaktion mit dem Fotografen deutlich erkennbar. Leo Kandl war kein unbeteiligter Beobachter und den Anwesenden offenbar kein Unbekannter.

 

 

Das fotografische Projekt kostete ihn schließlich sogar seinen Führerschein. Ohne teilnehmende Beobachtung, durchaus mit deutlicher Betonung auf dem Adjektiv, geht es eben nicht, wenn man Bilder, wie sie in diesem Buch versammelt sind, mit nach Hause nehmen will. Und dass der Alkohol an diesen Orten eine wichtige Rolle spielt, verschweigen die Bilder nie: nicht nur weil viele gefüllte und leere Gläser und Flaschen in ihnen auftauchen. Ein Fernsehteam, das auf das Projekt des Fotografen aufmerksam geworden war und die Scheinwerfer fürs Abdrehen eines Features schon in einer Kneipe aufgebaut hatte, musste diese unverrichteter Dinge wieder einpacken, da sich die Filmemacher um das Ausgeben einer Lokalrunde drücken wollten. Fotografie kann ziemlich existentielle Momente schildern. Leo Kandl tut das in seinem Buch. Ohne dafür in irgendeiner Weise zu zahlen, geht das selten.

 

 

Ein Katalog der Fotogalerie Wien, der als „Fotobuch 22/1999“ mit dem Titel „Werkschau IV. Leo Kandl. Arbeiten 1977.1999“ im gleichen Jahr wie „Weinhaus“ erschien, zeigt keine Fotografien dieser Serie, aber durchaus verwandte Arbeiten wie Kandls „Strassenbilder“. Eine Werkgruppe wie die „Wiener Modelle“ beweist dann, dass der Fotograf auch in der Farbfotografie zuhause ist. Etwas, was offensichtlich schon in den 1970er Jahren für seine Polaroids gegolten hat, von denen eine kleine Auswahl ebenfalls im Katalog abgebildet ist. 

 
 

 

Fakten:
 
Leo Kandl: „Weinhaus. Photographien 1977-1984“, Thalwil/Zürich 1999
Edition Stemmle
ISBN: 3-908161-82-7
112 Seiten, 98 Abbildungen in S/W, 27,5 cm x 24,5 cm, Hardcover mit SU
 
 
broschierte Museumsausgabe unter der ISBN 3-908161-84-3 mit anders gestaltetem Cover (s. Bild im Text)
 
 
Fotogalerie Wien (Hrsg.): „Werkschau IV. Leo Kandl. Arbeiten 1977-1999“, Wien 1999
Triton Verlag
ISBN 3-85486-029-3
40 Seiten, 23 Abbildungen in Farbe und S/W, 29,5 cm x 21 cm, Broschur
 
 
 
Website des Fotografen (derzeit im Neuaufbau)
 

 

 

Comments

Für mich ist Weinhaus eines

Für mich ist Weinhaus eines der besten Fotobücher. So eindrucksvolle Portraits sieht man selten.